In seinem Buche »Zur See« berichtet Guy de Maupassant auch von einem Besuch in Monaco, diesem kleinen Staat mit seiner Spielhölle, —

...der kleiner ist als ein Dorf Frankreichs, aber in dem man einen absoluten Fürsten, Bischöfe, ein ganzes Heer von Jesuiten und Seminaristen, eine Artillerie mit gezogenen Kanonen ... findet, und das alles von einer köstlichen Toleranz für die Laster der Menschheit beseelt, von denen der Fürst, die Bischöfe, die Seminaristen, die Minister, die Armee, der Magistrat, kurzum die ganze Welt lebt.
Das Buch enthält eine hübsche Episode von einem Gefangenen, die wir mit freundlicher Erlaubnis des Verlages Albert Langen in München hier abdrucken:
... aus einem der letzten Jahre ist in dem Fürstentume ein ganz neuer und sehr ernster Fall zu verzeichnen.
Es wurde ein Mord begangen.
Ein Mann, aus Monaco gebürtig, nicht einer jener Heimatlosen, wie man sie an diesen Küsten zu Hunderten trifft, hatte im Jähzorn seine Gattin ermordet.
Er tötete sie ohne jeden triftigen Grund. Die Erregung war groß und allgemein.
Der oberste Gerichtshof trat zusammen, um über diesen außergewöhnlichen Fall1 zu beraten und der Elende ward einstimmig zum Tode verurteilt.
Der empörte Fürst bestätigte dieses Urteil, dessen Vollstreckung man allgemein mit Spannung entgegensah, als plötzlich eine Schwierigkeit auftauchte:
...im ganzen Lande gab es weder einen Henker noch eine Guillotine.
Was tun? Auf Anraten des Ministers des Auswärtigen knüpfte der Fürst Unterhandlungen mit der französischen Regierung an und bat um leihweise Ueberlassung eines Henkers und des übrigen erforderlichen Apparats.
Im Ministerium zu Paris fanden endlose Beratungen statt. Endlich antwortete man, indem man gleichzeitig die Rechnung über die Transportkosten für den Mann und den Apparat beifügte. Das Ganze belief sich auf sechzehntausend Francs.
Seine Durchlaucht fand diese Operation ein wenig zu teuer; soviel war der Mörder denn doch nicht wert. Sechzehntausend Francs für den Kopf eines Halunken! Oh nein, er dachte gar nicht daran.
Darauf richtete man die nämliche Anfrage an die italienische Regierung. Ein König, ein Bruder, würde zweifellos weniger hohe Anforderungen stellen als eine Republik.
Die italienische Regierung schickte eine Rechnung über zwölftausend Francs.
Zwölftausend Francs! Man müßte eine neue Steuer einführen, eine Steuer von zwei Francs pro Kopf und das würde vielleicht ungeahnte Unruhen im Staate wachrufen.
So dachte man denn daran, den Schurken ganz einfach durch einen Soldaten enthaupten zu lassen. Aber als man dem General diese Angelegenheit unterbreitete, meinte dieser, seine Soldaten wären wohl in der Handhabung der blanken Waffe nicht geübt genug, um sich einer so heiklen und schwieligen Aufgabe unterziehen zu können.
Darauf rief der Fürst zum zweiten Mal den obersten Gerichtshof zusammen und legte ihm zum zweiten Mal die schwierige Frage vor.
Man beriet lange, ohne irgendeine praktische Lösung zu finden. Endlich schlug der erste Präsident vor, man möge doch die Todesstrafe in lebenslängliche Gefängnisstrafe umwandeln, und dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen.
Allein es gab kein Gefängnis. Es mußte erst eins eingerichtet werden, und so ernannte man denn einen Kerkermeister, dem man den Gefangenen anvertraute.
Sechs Monate lang ging alles gut. Der Gefangene schlief den ganzen Tag auf dem Strohbündel in seiner Zelle, während der Wärter auf einem Stuhle vor der Tür das Gleiche tat.
Aber der Fürst ist sehr ökonomisch, das ist sein geringster Fehler, und läßt sich über die kleinsten Ausgaben, die sein Reich erfordert, genaue Rechenschaft ablegen2. Man legte ihm also auch die Rechnung über die durch diese neue Gründung bedingten Ausgaben für die Erhaltung des Gefängnisses, des Gefangenen und seines Wärters vor. Das Gehalt dieses letzteren belastete das Budget Seiner Durchlaucht ungeheuer.
Anfangs machte er gute Miene zum bösen Spiel; aber als er sich überlegte, daß das noch sehr lange dauern könnte3 befahl er seinem Kriegsminister, die nötigen Anordnungen zu treffen, um diese Ausgabe künftighin zu umgehen.
Der Minister beriet die Angelegenheit mit dem Präsidenten des Gerichtshofes, und beide kamen überein, daß man den Kerkermeister abschaffen müsse. Der Gefangene, dem man in so liebenswürdiger Weise die Aufsicht über sich selbst überließ, würde natürlich eines Tages entfliehen und so die Frage zur Befriedigung aller lösen.
Der Kerkermeister wurde also entlassen, und ein Küchenjunge des Palasts erhielt den Auftrag, dem Gefangenen morgens und abends sein Essen zu bringen. Dieser aber machte keinerlei Versuche, um seine Freiheit wiederzugewinnen.
So geschah es eines Tages, daß er, als man vergessen hatte ihm seine Speisen zu bringen, sich ruhig auf den Weg machte, um sie selbst zu holen; und seitdem machte er es sich zur Gewohnheit, dem Küchenjunge den Weg abzunehmen und die Mahlzeiten im Palast selbst in Gesellschaft der Dienerschaft einzunehmen, mit der er sich alsbald sehr anfreundete.
Nach dem Frühstück unternahm er einen kleinen Abstecher nach Montecarlo. Manchmal trat er ins Kasino ein und setzte fünf Francs auf das grüne Tuch. Wenn er gewann, nahm er in einem gut renommierten Hôtel ein splendides Mittagessen ein, und kehrte dann in sein Gefängnis zurück, dessen Türe er sorgfältig von innen verschloß.
Nicht ein einziges Mal übernachtete er auswärts.
Die Situation begann sehr heikel zu werden, nicht für den Verurteilten, aber für die Richter.
Zum dritten Mal trat der Gerichtshof zusammen, und nun beschloß man, den Gefangenen aufzufordern, das Fürstentum Monaco zu verlassen.
Als man ihm diesen Beschluß mitteilte, antwortete er gelassen:
Sie sind wirklich komisch. Was soll denn eigentlich aus mir werden? Existenzmittel habe ich nicht mehr. Eine Familie ebensowenig. Was soll ich denn anfangen? Ich war zum Tode verurteilt. Sie haben mich nicht hinrichten lassen. Ich habe geschwiegen. Darauf haben Sie lebenslängliche Gefängnisstrafe über mich verhängt und mich einem Kerkermeister anvertraut. Sie haben mir meinen Wärter genommen. Ich habe noch immer geschwiegen.
Und nun wollen Sie mich aus dem Lande jagen. Aber daraus wird nichts. Ich bin Gefangener, Ihr Gefangener, und durch Sie verurteilt. Ich büße meine Strafe getreulich ab. Ich bleibe hier.
Der oberste Gerichtshof war starr und sprachlos vor Staunen, der Fürst geriet in unbeschreibliche Wut und befahl, daß man andere Maßregeln ergreife.
Da begann man von neuem zu beraten.
Und beschloß nun, dem Schuldigen eine jährliche Rente von sechshundert Francs anzubieten, falls er sich verpflichten wolle künftig im Ausland zu leben.
Darauf ging er ein.
Fünf Minuten vom Fürstentum entfernt kaufte er sich ein kleines Stückchen Land, auf dem, er glücklich und zufrieden lebt, Gemüse und Kartoffeln baut und die Potentaten verachtet.
1 Es war noch niemals ein Mord begangen worden
2 Die Liste ist nicht sehr groß
3 Der Verurteilte war noch jung
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